Fiktive Einkünfte aus Nebentätigkeit bei Unterhaltspflicht
Wer gegenüber minderjährigen Kindern unterhaltspflichtig ist, haftet strenger als andere Schuldner. Die Ausrede, man verdiene kein oder zu wenig Geld, lassen die Gerichte nicht gelten. Es werden dem Unterhaltsschuldner die Einkünfte zugerechnet, die er nach Ansicht des Gerichts erzielen könnte, wenn er sich intensiv um Arbeit bemühen würde. In der Praxis schießen hier die Gerichte aber leider oft weit über das Ziel hinaus. Der Bundesgerichtshof hat hier bereits vor kurzem Grenzen gesetzt und klargestellt, dass es eine reale und objektive Möglichkeit für den Unterhaltsschuldner geben muss, die ihm fiktiv zugerechneten Einkünfte auch wirklich zu erzielen. Die Praxis der Gerichte, von einer generellen Nebenerwerbspflicht auszugehen, ist daher nicht haltbar.
In einem Urteil vom 04.05.2011 (in FamRB 07/2011, Seite 203) hat der BGH jetzt nochmals klargestellt, dass bei der Zurechnung eines fiktiven Nebenverdienstes im Rahmen der objektiven Zumutbarkeit die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes beachtet werden müssen, die die wöchentliche Arbeitszeit regelmäßig auf 48 Stunden limitiert. Wer also schon mindestens 48 Stunden arbeiten muss, von dem kann nicht verlangt werden, dass er noch nebenbei Geld verdient, auch wenn er gegenüber minderjährigen Kindern unterhaltspflichtig ist und diese Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann.
In derselben Entscheidung stellte der BGH auch klar, dass der Unterhaltspflichtige zunächst eine eigene angemessene Erstausbildung absolvieren darf. Es kann von ihm also nicht verlangt werden, dass er seine eigene Ausbildung aufgibt, um in einem anderen Job mehr Geld zu verdienen und damit den Unterhalt für die Kinder zahlen zu können.
Auf der einen Seite sollen sich Unterhaltspflichtige nicht mit dem Argument, zu wenig zu verdienen, der Unterhaltspflicht entziehen können, auf der anderen Seite kann aber auch nicht von jedem Menschen, der zwar voll arbeitet, aber nicht genug verdient, um den Unterhalt für alle Kinder aufzubringen, eine Nebentätigkeit oder ein Berufswechsel verlangt werden. Hier ist immer im Einzelfall abzuwägen und auf Kriterien wie Überstunden, Schichtdienst, lange Fahrtzeiten, Möglichkeiten des Umgangs mit den Kindern (der durch einen Wegzug in eine andere Stadt an einem anderen Arbeitsplatz unmöglich gemacht werden kann), Alter des Unterhaltspflichtigen, dessen schulischer und beruflicher Werdegang sowie die Aussicht auf eine zukünftige Verbesserung der Erwerbsmöglichkeiten – und damit der langfristigen Sicherung der Leistungsfähigkeit für den Kindesunterhalt – zu berücksichtigen. In solchen Fällen kommt es vor Gericht daher entscheidend darauf an, zu diesen Punkten vorzutragen, damit der Richter alles in seine Erwägung mit einbezieht.