Voraussetzungen der Kündigung nach der Generalklausel des § 573 Abs. 1 S. 1 BGB
Für die Anerkennung eines berechtigten Interesses im Sinne von § 573 Abs. 1 S. 1 BGB ist bei der Bewertung der abwägungsrelevanten Belange maßgeblich, mit welchem Regeltatbestand des § 573 Abs. 2 BGB das geltend gemachte Interesse am ehesten vergleichbar ist.
Die Kündigung eines Mietverhältnisses kann nicht ohne weiteres darauf gestützt werden, die Mietsache an einen Dritten zwecks Sanierung und anschließender Durchführung eines sozialen Wohngruppenprojektes neu vermieten zu wollen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.05.2017, Az.: VIII ZR 292/15; Landgericht Rostock, Urteil vom 13.11.2015, Az.: 1 S 64/15; Amtsgericht Rostock, Urteil vom 13.03.2015, Az.: 47 C 438/14
Der BGH hatte über die Wirksamkeit einer Kündigung zu entscheiden. Der Vermieter ist Eigentümer eines Mehrfamilienhauses in Rostock. In diesem Haus ist auch die streitgegenständliche Wohnung gelegen. Nach Auskunft des Vermieters befand sich das Haus in einem sanierungsbedürftigen Zustand. Der Vermieter beabsichtigte daher, das Haus an eine Gesellschaft zu vermieten, die die Einrichtung und Durchführung von sozialen Wohnprojekten betreibt und deren Gesellschafter er selbst ist. Die Gesellschaft sollte das Haus als Ganzes mieten und anschließend dem Nutzungszweck entsprechend auf eigene Kosten umbauen. Auf diese Weise sollten insgesamt 23 Wohneinheiten neu geschaffen werden. Eine höhere als die bisherige Miete wollte der Vermieter nicht verlangen. Im Weiteren kündigte der Vermieter allen Mietern fristgemäß. Die Mieter der streitgegenständlichen Wohnung widersprachen dieser Kündigung jedoch mit der Begründung, dass kein Kündigungsgrund vorläge.
Der BGH hatte sich somit mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Kündigungsgrund vorlag. Gemäß § 573 Abs. 1 BGB kann der Vermieter von Wohnraum nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat.
Zunächst hat der BGH sich mit der Frage beschäftigt, ob eines der Regelbeispiele gemäß § 573 Abs. 2 BGB einschlägig sei. Hier kommt allein die Nr. 3, also die sogenannte „Verwertungskündigung“ in Betracht. Da der Vermieter allerdings nicht beabsichtigte, mit der Neuvermietung eine höhere Miete zu erzielen, konnte der BGH – im Vergleich zur Fortsetzung des Mietverhältnisses mit den bisherigen Mietern – keinen Nachteil des Vermieters von einigem Gewicht erkennen. Daher konnte der Vermieter die Kündigung nicht auf § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB stützen.
Weiterhin bleibt nur die Generalklausel des § 573 Abs. 1 S. 1 BGB als möglicher Kündigungsgrund für den Vermieter. Das Gesetz verlangt hier eine einzelfallbezogene Interessenabwägung, wobei allgemeinverbindliche Betrachtungen nicht möglich sein. Wie der BGH bereits mit Urteil vom 29.03.2017 (VIII ZR 45/16) entschieden hatte, bieten die Regeltatbestände des § 573 Abs. 2 BGB einen ersten Anhaltspunkt für die Interessenabwägung und Bewertung. Zwar beabsichtigte der Vermieter keine Mieterhöhung mit der Neuvermietung durchzuführen, allerdings hielt der BGH die Gesamtsituation mit dem Fall der Verwertungskündigung vergleichbar, sodass im Ergebnis auch vergleichbare Voraussetzungen für die Kündigung gelten. Der Vermieter müsste daher durch die Vorenthaltung der Wohnung eigene Nachteile von erheblichem Gewicht erleiden. Dem Vermieter gelang die Darlegung eigener Nachteile jedoch nicht. Die Nachteile, die der spätere Betreiber des sozialen Wohnprojektes erleiden würde, können vom Vermieter nicht angeführt werden. Auch sei durch die Weitervermietung einer Wohnung nach den Feststellungen des Gerichts die Verwirklichung des Gesamtprojekts im Übrigen nicht gefährdet, da noch 20 Wohneinheiten betrieben werden könnten. Im Falle der Fortführung des Mietverhältnisses mit den Mietern der streitgegenständlichen Wohnung müsse der Betreiber des sozialen Wohnprojekts lediglich auf drei Wohneinheiten verzichten. Daher erleide der Vermieter keine Nachteile von einigem Gewicht, sodass im Ergebnis kein Kündigungsgrund bestand.
Unsere Fazit: Der BGH orientiert sich auch im Falle der Kündigung nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB an den Regelbeispielen nach Abs. 2. Dadurch ist es für den Vermieter wichtig, vor dem Ausspruch der Kündigung abzuklären, ob der mit der Kündigung verfolgte Zweck auch im weiteren Sinne einem Regelbeispiel entspricht und ob dessen Voraussetzungen vorliegen. Für den Mieter kann sich diese Rechtsprechung dahingehend positiv auswirken, dass eine Kündigung, obwohl sie nicht unter das konkrete Regelbeispiel nach Abs. 2 fällt, dennoch an den dort normierten, strengen Voraussetzungen zu messen ist.